Rückblick: 60 Jahre Patenschaft Bartenstein/Württ. und Bartenstein/Ostpr. – Heimattraffen 2012

Rede von Rosemarie Krieger (geb. 1929) am Bartensteiner Ostkreuz, 12. Mai 2012:

Als Bartensteinerin, die schon vor 60 Jahren hierher kam und an der Unterzeichnung der Namenspatenschaft teilnahm, darf ich heute an jenen Tag erinnern. Wie war es damals, vor sechzig Jahren?
Es war bewegt und bewegend. Wir erlebten etwas, dass wir lange vermisst hatten – schmerzlich vermisst hatten: Wir waren hier willkommen!

Für uns hatte sich Bartenstein geschmückt, für uns hatten die Bartensteiner ihre Stuben geräumt, für uns hatte man mit Speis und Trank gesorgt, für uns wurde gesungen, für uns wurden freundliche Reden gehalten. Noch ganz benommen von so viel gastlicher Freundlichkeit erzählten anreisende Bartensteiner, dass sie noch spät am Abend von Bürgermeister Brauns begrüßt wurden, dass hilfreiche Menschen sie zu ihren Quartieren geleiteten, dass auch jene Gastgeber, die man wegen der späten Stunde aus den Betten klopfen musste, sich rührend um das Wohl ihrer Gäste bemühten.
Können Sie ermessen, was es im Jahr 1952 für die ostpreußischen Bartensteiner bedeutete, dass man sie hier herzlich willkommen hieß? Jene, die uns aus unserer Heimat vertrieben, hatten uns unmissverständlich klar gemacht, dass wir in unserer Heimat ganz und gar nicht mehr willkommen waren. Viele tun das immer noch. In den Teilen Deutschlands, in denen wir dann schließlich landeten, oder strandeten, hatten die Menschen genug mit sich und ihrem Alltag zu tun und waren bemüht, das, was sie durch den Krieg gerettet hatten, zu sichern. Nun sollten sie mit den aufgenötigten fremden Habenichtsen teilen. Wir waren ihnen – bis auf ein paar leuchtende Beispiele der Nächstenliebe – wahrlich nicht willkommen. Allmählich hatten wir uns fast daran gewöhnt, unwillkommen zu sein. Flüchtlingsschicksal eben. Und dann öffnete Bartenstein in Württemberg seine Arme weit und nahm den ostpreußischen Namensvetter freudig, freiwillig, herzlich und gastlich bei sich auf.
Aus einem Zufall der Namensgleichheit machte Bürgermeister Brauns mit seinem Gemeinderat einen Akt guten Willens. Er knüpfte jenes „Band zwischen Ost und West“, er ermunterte, half und sorgte dafür, dass die ostpreußischen und die hohenlohischen Bartensteiner einander kennen lernten. Er und seine Gemeinde vollbrachten ein gewaltiges Werk. An jenem ersten Fest vor sechzig Jahren waren sicher mehr Gäste als Gastgeber in diesem Ort versammelt.
Die Gäste suchten zunächst unter der Schar der Besucher ihre Freunde, Nachbarn, Bekannten. Das war ja auch nach dem Willen der Gastgeber ein Ziel des Treffens: dieses Bartenstein wollte „den Bartensteinern ein Halt sein, eine Insel, auf der ihre heimatlichen Empfindungen sich sammeln können“.
Ich erinnere mich daran, dass wir von dieser Möglichkeit reichlichen Gebrauch machten. Wir nutzten die Gelegenheit, Schulkameraden zu treffen, auch wenn wir der Schule an neuen Orten längst entwachsen waren. Es war eine herrliche Rückkehr. In den Bartensteinern fanden wir den Ersatz für Bartenstein.
Wir waren an jenen Tagen vollauf damit beschäftigt, nach der Zerstreuung der Flucht unsere Freunde wiederzufinden, Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten. An diesem freundlichen Ort erstand ein bisschen unsere Heimatstadt. Unsere Gastgeber ließen uns spüren: Hier waren wir keine Zumutung, keine Zwangseingewiesenen, sondern warmen Herzens aufgenommene Gäste.
Die Begegnung mit den hohenlohischen Gastgebern geriet damals wohl etwas ins Hintertreffen. Die Gastgeber begnügten sich hochherzig damit, uns ein Fest zu bereiten. Sie umsorgten und begleiteten uns, machten Platz für uns. In jener Zeit schöpften sie ja auch nicht aus dem Vollen, aber sie ließen es an nichts fehlen. Sie bereiteten uns mit Wort und Tat ein herrliches Willkommen.
Mein Vater berichtete den aus Norddeutschland Anreisenden über das Land in einem Artikel in „Unser Bartenstein“. Willi Piehl stellte das Städtchen in einer Broschüre vor.
Inzwischen wissen wir aus vielen Begegnungen, was wir an den lieben hohenlohischen Bartensteinern haben: Wir haben Freunde, die uns in all den Jahren ihre treue Freundschaft erhalten haben. So wie die Ostpreußen aus dem Kreis Bartenstein nach Württemberg reisten, besuchten die süddeutschen Bartensteiner unsere Stadt. Die Ortsvorsteherin Frau Nauber hat diese Reise unternommen, und mit ihr viele andere Bartensteiner.
Unser Patenonkel, Bürgermeister Brauns, erhielt für seine Verdienste um die Zusammenführung zweier deutscher Orte gleichen Namens und das Knüpfen des „Bandes zwischen Ost und West“ 1983 das Bundesverdienstkreuz. Er hat sich um uns bleibend verdient gemacht. Er war es, der uns das befreiende „Willkommen“ zurief.

Bilder vom ersten Heimattreffen 1952 in Württemberg